Die Nachricht, dass Colorado Velcu mit seiner Familie nach Deutschland kommen will, erreicht mich bei einer Vorführung des Films „Revision“ in Greifswald. Die Person, die gerade eben noch auf der Kinoleinwand gesagt hat: „Lass uns das Interview hier beenden es ist besser wenn jeder einzeln spricht, du als Regisseur weißt ja, wie so was geht…“, wird also ab jetzt in Deutschland leben. In Essen. Wir verabreden einen Besuch, und ich frage ob ich die Kamera mitbringen kann – nicht mit der konkreten Idee, einen Film zu machen, sondern weil es für uns die nächstliegende Form der Kommunikation ist. So haben wir uns vor drei Jahren kennengelernt: beim Filmemachen. Colorado vor, ich hinter der Kamera. Die Kamera definiert und legitimiert unser Verhältnis. Sie schafft einen Raum, in dem wir uns begegnen und der von beiden Perspektiven aus immer wieder neu ausgelotet wird. Das Filmen schafft eine Zeiteinheit, strukturiert die Begegnung.
Genau da knüpfen wir jetzt wieder an: Das Davor und Danach wird mit dem gemeinsamen Schauen von Bollywoodfilmen, mit Essen und Reden gefüllt. Erst jetzt und durch Zufall entdecken wir, dass eine Verständigung auch ohne Übersetzung möglich ist: Beide sprechen wir ein paar Brocken Spanisch, und von Besuch zu Besuch halluzinieren wir uns weiter in eine Fantasiesprache hinein, die kaum niemand sonst versteht (schon gar niemand, der wirklich Spanisch kann), die uns aber ein direktes Gespräch ermöglicht. Bei einem der nächsten Besuche in Essen bringe ich eine kleine Videokamera als Geschenk für Colorados älteste Tochter mit. Ab jetzt ändern sich die Verhältnisse: „Ich filme dich, während du mich filmst“ wird zum beliebten Motiv. Die Familie zieht nach Berlin, nun leben wir in derselben Stadt. Aus einer werden im Verlauf eines Monats vier Kameras, Colorado dreht erste eigene Szenen, schließlich wird ein Vertrag über einen gemeinsamen Film geschlossen. Dieser herzustellende Film – dessen Ausrichtung sowohl Colorado als auch mir zunächst ziemlich nebulös erscheint, wird mehr und mehr zu einem Filter, durch den wir uns und unsere Wirklichkeit anders wahrnehmen und neu interpretieren können. Ein Gespräch über Freunde und Verwandte wird so im Kontext des Dokumentarfilms zu einem Casting für einen Spielfilm, dessen Realisierung in der Zukunft liegt – obwohl wir eigentlich schon mitten drin sind. Es entsteht etwas, auf das wir uns gemeinsam beziehen und in dem wir uns auf Augenhöhe begegnen können: Ein Raum, der nun, nachdem der Film fertig ist, nicht einmal mehr eine Kamera braucht.